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Von der einschläfernden Kraft des Verharrens im Erwartbaren – Gedanken zur letzten Otto-Ausstellung in Magdeburg (2012)

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Was müssen wir Gegenwärtigen über einen ostfränkischen König wissen, der vor über tausend Jahren nach Rom zog, um Kaiser zu werden? Etwa auf welchem Ideenfundament er dabei stand und welche Relevanz dieses Fundament für den europäischen Einigungsprozess wie für ein sachsen-anhaltisches Gemeinschaftsgefühl hat? Dieser Ansicht waren jedenfalls die Kuratoren der stark beworbenen und vielgelobten Ausstellung „Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter“, die vom 27. August bis zum 9. Dezember 2012 in Magdeburg besucht werden konnte. Und ihre Antwort war weit ausgreifend. In fünf Abteilungen wurden dem Besucher eine Überfülle an Exponaten zur Ideengeschichte des römischen Kaisertums gezeigt: Von Augustus, über Konstantin I., dem byzantinischen Kaiserreich, Karl dem Großen, bis die Ausstellung schließlich bei Otto I. endete.

Da ist es kaum vorstellbar, dass das Publikum diese Ausstellung ohne Antwort auf die oben genannte Frage verließ. Und doch war es wahrscheinlich so, weil auf weitgehend unsinnige Fragestellungen keine sinnigen Antworten erwartet werden können. Denn die Nähe zwischen Sachsen-Anhalt und Otto, die von den Kuratoren als Prämisse fest gesetzt wurde, ist lediglich Fiktion. Das Land Sachsen-Anhalt gab es vor tausend Jahren noch lange nicht und mögen der Kaiser und seine Stammesgenossen auch damals schon stark “gesächselt” haben, ihre Sprache versteht im mitteldeutschen Raum der Gegenwart dennoch fast niemand mehr wie auch der Wertekontext jener Zeit genauso wie die damalige Lebenswelt uns Gegenwärtigen wohl gänzlich unvertraut ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Zusammenhang zwischen Ottos Reichsidee und dem zeitgenössischen Europagedanken. Es gibt nämlich kaum einen. Auch hier überwiegen die Unterschiede bei weitem. Denn die ottonische Reichsidee gründete sich nicht auf Werten wie Rechtsstaat, Demokratie, Freiheit des Individuums und Freiheit des Handels, sondern auf dem gemeinsamen Bekenntnis zu einer Religion. Nicht umsonst war während des Mittelalters das Verhältnis von Kaiser und Papst fast immer relevant und nicht umsonst trug das römisch-deutsche Imperium in einer späteren Phase den Namen “Heiliges (römisches) Reich” [Sacrum (Romanum) Imperium] [1]. Die Grundlage von Ottos universaler Herrschaft respektive sein apodiktisch eingefordertes Herrschaftsrecht ist mit der modernen Europaidee ganz bestimmt nicht kompatibel, vielmehr stehen beide gegensätzlich zueinander.

Nicht nachvollziehbar ist auch der chronologische Rahmen der Ausstellung. Sie begann mit Augustus und endete bei Otto dem Großen (und seiner Familie), der nicht als erster germanischer Herrscher die römische Kaiseridee wieder aufnahm wie er auch nicht derjenige war, der sie endgültig begrub. Durch die auf diese Weise vollzogene Aufwertung und Exponierung wird Otto I. zum scheinbar geeigneten Vehikel für die Intentionen der Ausstellung. Aus ihm, dem übergroßen Urahn, mit dieser großen Anzahl an herausragenden Regenten in der Vorgeschichte und mit der Teilhabe an einer großen, multikulturellen Herrschaftsidee, resultiert anscheinend zwangsläufig die ideale Identifikationsfigur für die Sachsen-Anhalter als auch für die Europaidee. Und genau hier geht die gesamte Ausstellung fehl. Die Absicht den gegenwärtigen Diskurslagen zu entsprechen (Europaidee, deutscher Föderalismus), verstellte den Kuratoren den Blick auf den realistischen Gegenwartsbezug von Kaiser Otto und auf die Kaiseridee. Denn die Kaiseridee gab und gibt es nicht, sie war und ist überaus differenziert, der Kaiser konnte Primus inter Pares sein, aber ebenso Gottkaiser. Und da in der Ausstellung Querbezüge zwischen den einzelnen Abteilungen fast vollständig fehlen – sie also vereinfacht – kann sie der Komplexität der Kaiseridee auch gar nicht gerecht werden.

Von den Besuchern dieser Ausstellung wurde demzufolge geistig nicht viel abverlangt, deren Rolle war es alleinig, anhand der Exponate vorgegebene und abstruse Zusammenhänge nachzuvollziehen. Schon die Überfülle an Ausstellungsstücken schuf beim Rezipienten eine Ohnmacht, die es ihm schier unmöglich machte, sich dieser Rollenzuweisung zu entziehen. Ein übriges tat diesbezüglich der Umstand, dass die in der Einführung des Ausstellungskatalogs angekündigte Darstellung der “starken geschichtlichen Brüche”, die “hinter den Kontinuitäten” aufscheinen [2], in der Praxis nicht vorhanden war, wie man überhaupt irritierenden und somit das Nachdenken anregenden Momenten nicht oft begegnete.

In Anlehnung an Friedrich Nietzsche kann man jetzt fragen, welchen Nutzen und welchen Nachteil diese Ausstellung für das Leben hatte. Nun, ob die Sachsen-Anhalter nach drei “Otto-Ausstellungen” (2001, 2006 und 2012) eine ausgeprägtere und stabilere Identität besitzen, vermag wohl niemand zu sagen, hierfür liegen vermutlich keine aussagekräftigen Messungen vor. Sinngemäß gleiches lässt sich auch zu den Auswirkungen auf die Popularität des Europagedankens feststellen. Ziemlich sicher dagegen ist, dass staatlich alimentierte Geschichtsexperten mit diesem “Event” ihre Nützlichkeit belegen konnten, indem sie einen Kaiser und seine Herrschaftsidee als identitätsstiftenden Faktor fehlinszenierten und damit einen längst verstorbenen Monarchen zu Gunsten des gegenwärtigen Herrschaftsdiskurses instrumentalisierten. Insofern ist diese Ausstellung ein kaum zu überbietendes Beispiel für Gegenwartskonstruktion durch Geschichte, die jenseits ihrer Nützlichkeitszuschreibungen zu Unsinn zerrinnt und sie ist ein Beispiel dafür, dass Geschichtsbilder “produziert” werden, um Bevölkerungen zu lenken und in bestimmten Werthaltungen gleichzuschalten.

Folgendes lässt sich also konstatieren: Das Weltbild der Organisatoren dieses „Otto-Events“ war nicht irritiert, sie standen tief in den herrschaftstragenden Gedanken, so dass sie nicht über den Tellerrand blicken und ihre grundlegenden Ideen hinterfragen konnten. Als Beispiel hierfür lässt sich die der Ausstellung zugrundeliegende Glorifizierung supranationaler Herrschaft anführen, die in Deutschland seit dem Untergang des Dritten Reichs ein beständiger Text oder Subtext des Herrschaftsdiskurses ist. Dabei zeigt ein Blick auf das Römische Reich, welches seine kraftvolle und expansive Phase nicht während des Regiments von Kaisern, sondern zu Zeiten der Republik hatte, dass Herrschaft innerhalb des nationalen Rahmens durchaus vitaler und demokratischer sein kann. Zur gleichen Erkenntnis führt ein Vergleich zwischen dem 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und dem Zweiten Deutschen Kaiserreich, das – obwohl aus einer nationalen Gesinnung geboren – ein voll entwickelter Rechtsstaat war, ein gesetzgebendes Parlament besaß und sich als Nährboden einer ökonomischen Erfolgsgeschichte eignete.

Auf diese Weise transportierte die Otto-Ausstellung von 2012 das Erwartbare, das dem Standard entsprechende und sie (ver)störte kaum jemanden, sie bestätigte vielmehr allenthalben. Ergo verbleibt nicht viel. Denn geistige Belebung entspross ihr nicht und viele der toten Exponate sind schon längst aus Magdeburg entschwunden.

[1] sacer, cra, crum (sancio), einem Gotte geheiligt, gewidmet, heilig, …, in: http://www.zeno.org/Georges-1913/A/sacer?hl=sacer, zugegriffen am 5.10.2013.

[2] Matthias Puhle, Gabriele Köster (Hrsg.): Otto der Große und das Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter (Katalog zur Ausstellung), Regensburg/Magdeburg 2012, S.32.