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Ein Plädoyer für die Einbeziehung der Historischen Diskursanalyse
1. Vorbemerkung
Populäre Geschichtsschreibung wie auch die Geschichtsschreibung der Schulbücher und des Lehrstoffes sind narrative Akte, die nicht so sehr Reflexionstiefe und intellektuelle Präzision generieren, sondern vor allem vorherrschende Weltbilder, Ideologie, kurz Zivilisationsmythen begründen, organisieren und affirmieren. Die Geschichtsschreibung bedient sich hierfür einer Allüre von Wissenschaftlichkeit, wodurch sie die quasi-mythische Essenz ihrer Behauptungen zu kaschieren versucht. Besonders durch die Unterstellung von klar zu identifizierenden Kausalitäten (man denke an Ursache/Wirkung, Ursache/Anlass etc.) formuliert Geschichtsschreibung eine Plausibilität historischer Phänomene, die genauerer Betrachtung nie standhält, die aber dennoch und gerade dadurch Teil eines zivilisatorischen Glaubensaktes ist.
2. Notwendigkeiten einer Alternative
Vergleicht man Geschichtsschreibung verschiedener Epochen, verschiedener Nationen oder verschiedener Weltanschauungen, so fällt es nicht schwer zu ersehen, dass dieselben historischen Phänomene gänzlich verschieden beurteilt, eingeordnet und begründet werden, dass das Fazit der jeweiligen Analysen schon ganz unabhängig vom eigentlichen Phänomen paradigmatisch determiniert ist. Geschichtsschreibung ist so zunächst Ideologie. Durch die moderne Kausalitätsgläubigkeit, die nahezu sämtliche Bereiche der Moderne und Postmoderne durchzieht, ist es allerdings möglich, ideologisch motivierte Geschichtsschreibung als objektive Wissenschaft erscheinen zu lassen. Dabei aber wird überhaupt nicht gesehen, dass zwar Kausalität zwischen Ereignissen herrschen kann und dass sich eine Abfolge von Ereignissen auch kausal betrachten lässt, diese Betrachtung dann aber vollkommen unzureichend ist. In einer multikomplexen und damit auch multikausalen Welt ist es unmöglich hinreichende Kausalität überhaupt zu identifizieren oder zu begründen, denn defizitäres Wissen schließt Kenntnis aller kausalbestimmenden Faktoren aus. Weder wissen wir meistens etwas von Durchfallerkrankungen oder sexuellen Frustrationen der politisch/historischen Akteure, die jeweilige Entscheidungen beeinflussen, noch können wir andere Unwägbarkeiten historischer Prozesse ausschließen. Die Unterstellung von identifizierbarer Kausalität ist schlichter Ausdruck pseudo-rationaler Borniertheit, die ihre eigene Unwissenheit nicht anerkennt. Hierdurch aber ist jedwede dergestalt daherkommende Analyse schlichtweg Blödsinn.
3. Skizze eines alternativen Analyseverfahrens – Einführung in die Diskursanalyse
Wie beschrieben opfert die populäre Geschichtsschreibung Reflexionstiefe und intellektuelle Redlichkeit auf dem Altar der Jetzt-Bejahung. Dabei bedient sie sich dem Verfahren der Homogenisierung, d.h. sie unterstellt Plausibilität und Widerspruchsfreiheit innerhalb historischer Prozesse zu Gunsten der Illusion von Objektivität und Sinn. Sie tilgt damit Elemente des Paradoxen, des Zufalls oder Unvorhersehbarkeit nachträglich aus.
Wesentlich spannender, interessanter und geistig gewinnbringender ist es jedoch gerade auf diese Elemente bei der historischen Analyse zu setzen. An den Widersprüchen, Paradoxien und offensichtlichen „Zufälligkeiten“ – der Begriff wird noch problematisiert werden – kurz an den Heterogenitäten dessen, was als Geschichte erkennbar ist, läßt sich eine statthafte Analyse entfalten, die befähigt ist, den oben genannten Kritikpunkten zu entgehen.
Geschichtsbetrachtung konstituiert sich durch Themen und Fragestellungen, mit denen das jeweilige historische Phänomen fassbar gemacht werden kann. Solcherlei grundlegende Themen, die in der Veränderung ihrer jeweiligen Konfiguration zwar zeitlich determiniert sind, aber doch in der grundlegenden Bestimmung überzeitlichen Charakter haben, lassen sich als Diskurse bezeichnen. Diskurse sind also Themenzüge, die zum ersten unser Verständnis von Welt und Geschichte bestimmen und zum zweiten erfassbare Strukturen in historischen Prozessen aufzeigen. Essenzielle Diskurse sind so zum Beispiel: Machtdiskurse, Legitimationsdiskurse, Religionsdiskurse, Ideologiediskurse, Sozialdiskurse, Wissenschaftsdiskurse etc. Je nach Lage des zu betrachtenden historischen Phänomens lassen sich diverse Diskurse bestimmen und verschieden gewichten. Meistens offenbaren sich die bestimmenden Diskurse gerade in den Widersprüchen oder Zufälligkeiten innerhalb der Geschichtsschreibung.
Am Beispiel der Kubakrise läßt sich dies kurz exemplifizieren und erläutern: Analysiert man kurz die Ergebnisse der Kubakrise jenseits von ideologischen Verblendungen, so läßt sich dreierlei feststellen: a. Sowohl die Interkontinentalraketen der USA in der Türkei und Italien als auch die der SU in Kuba wurden abgezogen. b. Es wurde eine telefonische Direktverbindung zwischen dem weißen Haus und dem Kreml eingerichtet. c. JFK als Repräsentant der USA gilt als „Sieger“ der Krise.
Bringt man diese drei Ergebnisse mit dem Verlauf der Kubakrise in Beziehung, zeitigen sich erstaunliche Erkenntnisse. Bestand nämlich vor der Kubakrise hinsichtlich der Bedrohungskapazität der beiden Weltmächte ein klares Übergewicht durch die Stationierung von Mittelstreckenraketen in der Türkei und in Italien seitens der USA, ist dies nach der Kubakrise nicht mehr der Fall. Ferner kann es doch nur für das Versagen der geheimdienstlichen und diplomatischen Vorgehensweise sprechen, dass nach der Kubakrise die Möglichkeit einer direkten Kommunikation zwischen Washington und Moskau geschaffen wurde. D.h. also, es bestand die Einsicht der existenzbedrohenden Unberechenbarkeit des eigenen Vorgehens, sowohl was die Strategie der Geheimhaltung anbelangt als auch, was die Einschätzung des jeweiligen Verhandlungspartner angeht.
Dass Kennedy nach Kenntnis der strategischen Veränderungen der Krise wohl schwerlich als „Sieger“ zu identifizieren ist, ist hernach offensichtlich, die Gründe hierfür gleichwohl auch. Sieht man sich den Verlauf des Entscheidungsprozesses während der Kubakrise auf Seiten der USA an, so sind derlei viele Akteure und Interessensvertreter in den Entscheidungsprozess eingebunden gewesen, die eine andere Strategie als die Kennedys präferierten, dass Kennedy nach einer objektiven Erwägung und Bewertung der Ergebnisse deutliche Legitimierungsprobleme bekommen hätte. Kennedy konnte die Hegemonie der USA nicht erhalten, machte dem ideologischen Feind der SU erhebliche Zugeständnisse, konnte die Etablierung eines sozialistischen Staates vor der US-Küste nicht verhindern. Um einer weiteren Konfrontation beider Supermächte dieses Ausmaßes zu entgehen, war es damit nur opportun, Kennedy das absurde Signum des Siegers zuzuschreiben.
Diskursanalytisch läßt sich also das zuletzt beschriebene innerhalb des Legitimationsdiskurses betrachten. Dabei ließe sich vergleichen, wie jeweilige Entscheidungsprozesse sich innerhalb der beiden Lager konstituierten. Ferner ließen sich Motivationslagen der Akteure betrachten. Kennedy als Führer eines demokratischen Landes hat von jeher einen wesentlich höheren Legitimationsdruck als ein Diktator.
Die Eskalation der Krise offenbart eine Verschränkung von Macht- und Kommunikationsdiskursen. Ging es vorerst um die Etablierung militärischer und ideologischer Hegemonie eskalierte die Krise ob eines vollkommen unzureichenden Kommunikationsmodus´. Man kann also zusammenfassen, dass der Machtdiskurs so lange vorherrschend war, wie die Möglichkeit der Durchsetzung seiner Motivation bestand. Als diese Möglichkeit aber nur noch unter Inkaufnahme der eigenen Zerstörung wahrscheinlich war, gewann der Kommunikationsdiskurs an Bedeutung. Die Krise eskalierte durch Nonkommunikation und deeskaltierte durch Kommunikation.
Schon dieser kurze und vollkommen unvollständige Anriss einer Diskursanlyse zeigt, welche Erkenntnisse sich ganz ohne kausalen Firlefanz nur unter Betrachtung des Gegebenen formulieren lassen. Historische Tatsachen sind hier nicht in ihrer scheinkausalen Bedeutung relevant, sondern nur als Diskursträger. Diskurse sind damit geeignet die Strukturen historischer Ereignisse nachzuzeichnen, zu bestimmen und zu erkennen. Widersprüche und Heterogenitäten sind ferner also keine Erkenntnislücken, sondern vielmehr Träger von Diskursverschränkungen, die die Diskurse vornehmlich identifizierbar machen.
4. Vorteile und Möglichkeiten diskursiver Analyse
Zu den unbestreitbaren Vorteilen der Diskursanalyse gehört ihr Plädoyer zu Heterogenität und Unabgeschlossenheit. Diskursanalysen sind nicht endgültig, sondern offen, sie sind nicht statisch, sondern dynamisch. Damit entziehen sie sich ideologischer Vereinnahmung und zivilisatorischer Sinnkreierung. Zum zweiten offenbaren sie nicht bloß Strukturen historischer Phänomene, sondern eben auch Strukturen der Jetztzeit. Insofern man diskursanalytisch die jeweilig vorherrschende Geschichtsschreibung mit ihren mühsamen Herstellungen von Kausalitäten diskursanalytisch betrachtet, offenbaren sich eben nicht bloß intellektuelle Seichtheiten. Vielmehr zeigt sich dort das gesamte Aufgebot identifikatorischer Überzeugungen, die fern jedweder Wertung immer auch Ideologie sind. Historische Diskursanalyse ist somit immer auch Strukturanalyse der Gegenwart, denn Geschichte wird von Gegenwart geschrieben.