Meine Oma wurde nur 91 Jahre alt. Noch heute, neun Jahre nach ihrem Tod, habe ich den beißenden Uringeruch in der Nase, den sie verströmte, als sie voller Stolz bei den täglichen Verrichtungen trotz Demenz auf der Kloschlüssel saß, während ich mich daneben im Waschbecken erbrach. Zur Beerdigung meiner Oma kamen wenige Menschen, Fernsehsender berichteten nicht und es gab auch keine Idioten, die 30 Stunden lang ausharrten, um für Sekunden ihren Sarg zu sehen.
Anders bei der Queen. Das alte Mädchen, das kommenden Montag sein Staatsbegräbnis hat, eint die Welt in Trauer und Verehrung. Sie verstarb im Alter von 96 Jahren in irgendeinem ihrer Schlösser nach 70 Jahren Regentschaft, in denen sie viel winkte und nichts sagte. Queen Elisabeth II. samt Familie bedeuten 96 Jahre Prass, legitimiert durch die groteske Idee des Gottesgnadentums. Verehrt wird sie interessanterweise wegen ihrer Pflichterfüllung und ihrer Skandallosigkeit.
Betrachtet man die Sachlagen ernsthaft, war ihr ganzes Leben ein Skandal. Sie lebte in Schlössern, wettete auf Pferde, begleitete ihren Mann zur Großwildjagd, sie generierte durch ihren Lebenswandel wahrscheinlich CO2-Emissionen eines afrikanischen Kleinstaates und kassierte Abermillionen an Steuergeldern. Die Queen war das Maximum einer parasitären Existenz. Sie war das Gegenteil dessen, was Aufklärer und Leistungsethiker seit 250 Jahren proklamieren, sie war das zynische Lachen ins Gesicht eines jeden Menschen, der einsam und vergessen im Altenheim vor sich hin krepiert.
Was sich nahezu unisono bei der Berichtserstattung und in der Wahrnehmung der so sehr Berührten zeigt, ist ein in seiner Deutlichkeit nicht nachvollziehbarer Verdrängungssakt, der gleichsam einen perfiden Anforderungskatalog offenbart. Da wird um eine alte Frau getrauert, die bis zuletzt ihre Pflicht erfüllt hätte. Pflichterfüllung, Dienst, Wohlverhalten gelten ganz offenkundig als die Kriterien, die das britische Verheultsein begründen. Abgesehen davon, dass es die Pflicht eines jeden vernunftbegabten Menschen gewesen wäre, mit der Erbmonarchie aufzuräumen, offenbaren diese Attribute deutlich, was von Menschen zu erwarten ist: Schweigsamkeit, Fügsamkeit und wenn es sein muss noch lustige Hüte. Selbstgestaltung, Freiheitsnahme, Reflektiertheit, Mildtätigkeit, Güte spielen keine Rolle. Mit der Queen wird eine Rentnerin verehrt, die leistungslos ihren Job bekam und ihn bis zum Ende nicht abgab. Sie wird gefeiert, weil wir die Alten und Kranken in ihrer Not verachten. Sie war öffentlich rüstig, währenddessen wir die Nicht-Rüstigen verbergen. Sie wird verschwenderisch bestattet, wenn gleichzeitig Tausende Raumpfleger, Arbeiter, Arbeitslose, Rentner bei Sozialbestattungen verscharrt werden.
Es sind nicht die Reflexe der Trauer, die erschüttern; und es sind auch nicht die Verdrängungsanstrengungen, die offensichtlich nötig sind, um das eigene Dasein erträglich zu machen, die mich ergreifen. Es ist die scheinheilige Einhelligkeit in der absurden Überzeugung. Es wäre die Pflicht (!) ernsthafter Journalisten gewesen, auf die Missverhältnisse hinzuweisen. Stattdessen berichtet selbst der Deutschlandfunk in seinen Nachrichten, dass die Prinzen William und Harry für zwölf Minuten am Sarg der Queen stehen werden. Die Frage des Nachrichtenwertes stellt sich gar nicht mehr. Die Lust der kollektiven Selbstverdummung ist ungebrochen. Das ist das Gegenteil von Aufklärung. Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist ein in seiner Dämlichkeit immer noch gefangener, der das heuchlerische Leben einer fernen, toten Luxusoma feiert und dabei seinen Nächsten vergisst.
Meine Oma wurde in Königsberg geboren, sie verlor ihren Mann und ihren Sohn im Krieg; sie wurde von Soldaten vergewaltigt, erkrankte an Malaria und Typhus, musste fliehen und war die letzten 25 Jahre ihres Lebens blind. Sie arbeitete bei der Reichsbahn, erzog ihre Tochter, pflegte ihre Mutter und passte auf ihre Enkel auf. Sie starb in keinem Schloss. Für ihre Pflege erhielt sie 800 Euro im Monat. Ihre Bestattung dauerte 40 Minuten und kostete 3000 Euro. Der Deutschlandfunk berichtete nicht.