Schule ist ein Apparat permanenten institutionalisierten Zwanges. Nichts von dem, was innerhalb von Schule organisiert ist, findet seine Motivlage jenseits der Durchsetzung von Konformismus und Domestikation. So ist die Schule mitnichten zuvorderst Anstalt der Wissensvermittlung, sondern Anstalt des zivilisatorischen Oktroys. Aus der Perspektive des in seiner Individuation gehemmten Einzelnen müßte die Anstalt Schule, in ihrer grundlegend funktionierenden deindividualisierenden Perfidie, als quasi-diktatorisches System erscheinen, hätte die Selbstverständlichkeit ihrer Existenz sie nicht von dieser Erkenntnis ausgeschlossen.
Diese Perfidie der Institution Schule konstituiert sich durch mannigfache, zum Teil sehr subtile Strukturen, die allesamt geeignet sind, sowohl Schüler als auch Lehrer intellektuell wie auch charakterlich zu kastrieren. Die Schule ist weniger eine Lehr- als eine Erziehungsanstalt. Die sogenannte Wissensvermittlung, die immer weit hinter einer tatsächlichen wissenschaftlichen Relevanz bleibt, fungiert als bloßes Instrument zivilisatorischer Durchsetzung. Die Behauptung des Wissensvorsprungs seitens des Lehrers, des Nichtwissens der Schüler, die dadurch entstehende Hierarchie zeigen klar auf, daß die Wissensvermittlung ein Akt zur Herstellung autoritärer Beziehungen ist. Dabei ist es völlig gleich, wie sich der einzelne Lehrkörper verhält. Die Behauptung des Wissensvorsprungs und die damit einhergehende Behauptung der Benotungskompetenz definieren den Lehrkörper und prädestinieren ihn für den Schüler als unhintergehbare Machtinstanz, die durch Befragung und Benotung den Grad konformer Anpassungsbereitschaft quittiert. Strukturell gesehen ist die Eins als Bestnote also keinesfalls Ausweis von Wissen, sondern nur Ausweis maximaler Anpassungsbereitschaft. Die gute oder sehr gute Benotung weist den Benoteten in seiner grundsätzlichen zivilen Einhegung aus. Interessant ist hierbei auch, daß nach der Benotung der Wissensdiskurs abgeschlossen ist, nicht etwa weil etwas gewußt wird, sondern weil benotet wurde.
Der Lehrer, der selbst, um sich für seinen Beruf zu eignen, gezwungen ist, neben der schulischen und universitären Kasernierungs- und Kastrationslaufbahn, zwei Staatsexamen abzulegen, ist nur innerhalb des Unterrichts als Machtinstanz unhintergehbar. Er operiert im Unterricht als Statthalter der Zivilgesellschaft, deren Werte er permanent direkt oder indirekt transportiert. Diese Statthalterfunktion ermächtigt und verohnmächtigt ihn zugleich. Die Umsetzung des zumeist intellektuell abstrusen Lehrplanes, die Benotungs- und Befragungspflicht etc. lassen auch ihn als Figur des Unterworfenseins erkennen. Innerhalb des Apparates Schule zeigt sich dieses omnipräsente, alle Akteure betreffende Unterworfensein schnell am Symptom und Instrument der Klingel. Ein jeder Schüler und ein jeder Lehrer ist genötigt, sein Leben ob eines banalen akustischen Signals zu strukturieren. Das Klingelzeichen und dessen willfähriges Verstandensein organisiert Verhalten, es organisiert Macht, es organisiert Kommunikation. Unterrichtsdiskussionen über Freiheit oder Demokratie werden durch das Ertönen des Klingelzeichens und des Befolgens der daraus entstehenden Verhaltensanforderung ad absurdum geführt. Die Klingel offenbart so die Übermacht der Apparatsstruktur.
Ziel von Schule ist also die Vermittlung der Akzeptanz des permanenten Unterworfenseins. Daß dies scheinbar weder den Lehrkörpern noch den Schülern in dieser Grundsätzlichkeit auffällig ist, begründet sich durch verschiedene Faktoren.
Zum ersten ist die Schule nur Teil einer zivilisatorischen Setzung, die keinerlei Hinterfragung ihrer Legitimation zuläßt. Vielmehr garantiert ein jedes gesellschaftliches System durch die Organisation von Lust und Unlusterfahrung die unreflektierte Akzeptanz seiner Setzung. So finden die Einhegungs- und Anpassungsforderungen nicht erst in der Schule ihren Anfang. Schon die elterliche Erziehung operiert mit der Motivation der Unterwerfung. Und in der Schule verdichtet sich durch den jahrelangen Kasernierungszwang dieser Befund noch erheblich.
Schüler werden in Klassen segregiert und kaserniert, der Lehrstoff wird oktroyiert ebenso wie Verhaltensanforderungen. Es gibt feste Essens- oder Pausenzeiten, vor einem innerunterrichtlichen Toilettengang muß zumeist um Dispens gebeten werden, sprechen dürfen Schüler nur nach Aufforderung usw. Derlei Verhaltensanforderungen – inklusive deren Bewertung durch Kopfnoten – dokumentieren klar, daß die Durchsetzung von Subordination Ziel und Weg schulischer Ausbildung ist.
Keine noch so durchsetzungspotente Diktatur vermag oder vermochte derartiges, dessen Schüler beständig ausgesetzt sind. Das in der Grundstruktur offen zu Tage tretende Phänomen der Unterdrückungslust und Unterwerfungsbereitschaft deutet interessanterweise darauf hin, daß Diktaturen keinesfalls als innerhalb unserer gesellschaftlichen Konfiguration wesensfremd gelten können.
Zum zweiten findet die Schule ihre unhinterfragte Berechtigung in der Nichtinfragestellung ihrer offiziellen Funktion, nämlich der der Wissensvermittlung. Da wohl der Vorteil des Wissensbesitzes einsichtig ist, um sich hinreichend innerhalb einer gesellschaftlichen Verfaßtheit etablieren zu können, präsentiert sich Schule als notwendige Institution. Problematisiert man allerdings den in der Schule angewandten Wissensbegriff, wird die Lage schwierig. Zu keinem Zeitpunkt, in keiner Klasse situiert sich die Wissensvermittlung auf einem relevanten wissenschaftlichen-diskursiven Niveau. Neben der sicherlich bedeutsamen Vermittlung von Kulturfertigkeiten wie Lesen und Schreiben, konzentriert sich der Unterricht über Jahre hinweg auf den Erwerb von Pseudowissen, das keiner Befragung standhält. Schulisch vermitteltes Wissen ist autoritär kaschiertes Unwissen, Nichtwissen, im Grunde Unfug
Zum dritten etabliert sich der Apparat Schule so unbesehen und unhinterfragt durch den Affirmationsdruck der Schüler. Gefallenwollen und die Illusion der Anerkenntnis der eigenen Identität sekundieren ironischerweise die schulische Restriktion. Es ist nicht verwunderlich, daß Schüler sich musikalisch oder Theater spielend bedeutungslos auf einer bedeutungslosen Bühne kaprizieren. Die Gaukelei ihrer eigenen Wichtigkeit macht sie blind. Sie glauben zu gestalten, doch sind sie nur bloße Objekte der Gestaltung.
Der Apparat Schule läßt keine Möglichkeit zu, dessen Struktur grundlegend zu verändern. Der Konformitätszwang ist derart groß, vielfältig und omnipräsent, daß einzig eine grundlegende Opposition und Verweigerung geeignet wäre, dem zu entrinnen.
Da jedoch Schule immer mit Zukunftsversprechen und Zukunftsangst einhergeht, findet sich diese Verweigerung freilich nur noch in Schulen geringwertiger Abschlußmöglichkeit. Wenn der zu erwerbende Abschluß bloß einen geringen oder gar keinen gesellschaftlichen Wert besitzt, wenn somit auch die Benotung und die Benotungskompetenz des Lehrers in ihrer Bedeutung schwindet, wird die Zukunftsangst zur Zukunftsgewissheit. Der Anpassungsdruck schwindet, da die Zukunftsversprechen ausbleiben. Ohne Zukunft ist freilich dann auch der Schüler frei, der Rest bleibt gefangen.
Non vitae, sed scholae discimus – Non scholae, sed vitae discimus.