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Fiete

Ich gehe seit einigen Wochen wieder in die Kirche. Keine Angst, Sie dürfen weiterlesen, ich habe nicht zu Gott gefunden, aber ich mag Kirchenlieder und der Mensch braucht seine Aufgaben. Gestern wurde Fiete getauft, der Sohn einer offensichtlich in ihrem Glücke sehr selbstgewissen Kleinfamilie; Mutter wahrscheinlich berührte Grundschullehrerin, Vater langhaariger Theologiestudent. Fiete sah proper aus und schien an seiner Existenz gerade nicht zu leiden. Das Nervige an Taufgottesdiensten ist die gute Laune. Nicht nur, dass bis zum Vollzug irgendwelche Familienkinder durch die Gänge wuseln oder ihren jeweiligen Bedürfnissen mit Geschrei Nachdruck verleihen, es ist die allgemeine absurde Fröhlichkeit, die zur Flucht treibt.

Ich wiederhole mich ungern, Sie kennen meine Ansichten zur Fortpflanzung: Fiete wird Unmengen an Ressourcen kosten, er wird krank werden, er wird leiden, er wird sterben. Wenn er Glück hat, ist er dazwischen mit einer ähnlichen Ignoranz gesegnet wie seine Eltern und wird zu alledem lächeln, schweigen und ungeschützt vögeln.

Vor mir saß ein gebrechliches Paar. Beide um die 80. Lebenserwartung zusammengerechnet vielleicht noch drei Jahre, davon ein erträgliches. Sie wissen, was Fiete noch nicht weiß und was auch seine Eltern nicht wissen: Dasein ist Frist, aber für sie interessierte sich niemand.

Global gesehen, also nicht christologisch, wobei man sich schon die Frage stellen könnte, wen Gott denn noch alles lieben soll und ob das nicht auch eine weitere Kontingenzerfahrung im Leben bedeutet – wenn Gott jeden liebt (selbst jetzt Fiete), liebt er keinen – wäre das baldige, besser das sofortige Ableben der beiden ein Glücksfall, ebenso das Fietes, seiner Eltern, oder meines. Die Erde müsste jauchzen und frohlocken würde in Anbetracht der überbordenden Biomasse Mensch wenigstens der verschwenderischste und weltverachtentste Teil der Menschheit das Zeitliche segnen. Und das sind wir und Gott wäre sogar anwesend. Ein kollektiver Suizid unter kirchlicher Aufsicht erscheint moralphilosophisch jedenfalls hinnehmbar.

Denkt man die Einlassungen der Fridays-for-future-Bewegung („Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Welche Zukunft, Idioten?) zu Ende müsste diese bei der Bewertung der Szenerie zum selben Ergebnis kommen. Nur Tote verbrauchen keine Ressourcen und sie emittieren auch kein CO2. Daher wäre es nur logisch, würden diejenigen, die früher sterben, eben wir sein und nicht die Arbeitssklaven im (Achtung: unschöner Euphemismus) globalen Süden. Leider ist eine derartige Stringenz von Gestalten wie Frau Neubauer nicht zu erwarten und so laden sie lieber Menschen mit modrig riechenden Frisuren unter dem Hinweis der kulturellen Aneignung von Konzerten aus.

Zurück zu Fiete und den Alten. Wem sind wir verpflichtet? Fietes Eltern waren in ihrer Antwort dämlich eindeutig: Nur uns. „Schatz, lass den Gummi weg, andere sind uns egal.“ Sicher ist aber, dass es in ihren Möglichkeiten gelegen hätte, mit den Energien, die sie nun an den frisch getauften Fiete verschwenden, Existenzen zu helfen, die schon längst da sind. Sei es an das alte Paar, den Obdachlosen vor PENNY oder die alleinerziehende Mutter in der Nachbarwohnung. Fiete kann nichts dafür, er ist jetzt „anwesend in der Zeit“. Und irgendwann wird seine Not ähnlich ignoriert werden.

Wem sind wir verpflichtet? Natürlich uns, aber dann dem Nächsten, der schon da ist und dann dem Ferneren und dann dem Fernsten. Leben heißt zu töten. Fiete wird schon allein mit der Herstellung seiner Windeln Menschen, Tiere und Pflanzen auf dem Gewissen haben, er wird, wie wir alle, Schuld haben, selbst wenn er das christlichste Leben führt. Er wird mittelbar an Leid und Zerstörung Anteil haben. Nur weil die Kausalketten etwas länger sind, heißt es ja nicht, dass es keine Kausalität gäbe. So lange wir leben, sind wir darin verstrickt. Die Würde des Menschen ist unantastbar, jedenfalls für uns, jedenfalls noch.

Nach der Taufe wurden auch noch schöne Lieder gesungen, die Kinder waren fort, die Alten trällerten mit. Alles war vergessen.

Prass und Defilee – Bemerkungen zum Tod der Queen

Meine Oma wurde nur 91 Jahre alt. Noch heute, neun Jahre nach ihrem Tod, habe ich den beißenden Uringeruch in der Nase, den sie verströmte, als sie voller Stolz bei den täglichen Verrichtungen trotz Demenz auf der Kloschlüssel saß, während ich mich daneben im Waschbecken erbrach. Zur Beerdigung meiner Oma kamen wenige Menschen, Fernsehsender berichteten nicht und es gab auch keine Idioten, die 30 Stunden lang ausharrten, um für Sekunden ihren Sarg zu sehen.

Anders bei der Queen. Das alte Mädchen, das kommenden Montag sein Staatsbegräbnis hat, eint die Welt in Trauer und Verehrung. Sie verstarb im Alter von 96 Jahren in irgendeinem ihrer Schlösser nach 70 Jahren Regentschaft, in denen sie viel winkte und nichts sagte. Queen Elisabeth II. samt Familie bedeuten 96 Jahre Prass, legitimiert durch die groteske Idee des Gottesgnadentums. Verehrt wird sie interessanterweise wegen ihrer Pflichterfüllung und ihrer Skandallosigkeit.

Betrachtet man die Sachlagen ernsthaft, war ihr ganzes Leben ein Skandal. Sie lebte in Schlössern, wettete auf Pferde, begleitete ihren Mann zur Großwildjagd, sie generierte durch ihren Lebenswandel wahrscheinlich CO2-Emissionen eines afrikanischen Kleinstaates und kassierte Abermillionen an Steuergeldern. Die Queen war das Maximum einer parasitären Existenz. Sie war das Gegenteil dessen, was Aufklärer und Leistungsethiker seit 250 Jahren proklamieren, sie war das zynische Lachen ins Gesicht eines jeden Menschen, der einsam und vergessen im Altenheim vor sich hin krepiert.

Was sich nahezu unisono bei der Berichtserstattung und in der Wahrnehmung der so sehr Berührten zeigt, ist ein in seiner Deutlichkeit nicht nachvollziehbarer Verdrängungssakt, der gleichsam einen perfiden Anforderungskatalog offenbart. Da wird um eine alte Frau getrauert, die bis zuletzt ihre Pflicht erfüllt hätte. Pflichterfüllung, Dienst, Wohlverhalten gelten ganz offenkundig als die Kriterien, die das britische Verheultsein begründen. Abgesehen davon, dass es die Pflicht eines jeden vernunftbegabten Menschen gewesen wäre, mit der Erbmonarchie aufzuräumen, offenbaren diese Attribute deutlich, was von Menschen zu erwarten ist: Schweigsamkeit, Fügsamkeit und wenn es sein muss noch lustige Hüte. Selbstgestaltung, Freiheitsnahme, Reflektiertheit, Mildtätigkeit, Güte spielen keine Rolle. Mit der Queen wird eine Rentnerin verehrt, die leistungslos ihren Job bekam und ihn bis zum Ende nicht abgab. Sie wird gefeiert, weil wir die Alten und Kranken in ihrer Not verachten. Sie war öffentlich rüstig, währenddessen wir die Nicht-Rüstigen verbergen. Sie wird verschwenderisch bestattet, wenn gleichzeitig Tausende Raumpfleger, Arbeiter, Arbeitslose, Rentner bei Sozialbestattungen verscharrt werden.

Es sind nicht die Reflexe der Trauer, die erschüttern; und es sind auch nicht die Verdrängungsanstrengungen, die offensichtlich nötig sind, um das eigene Dasein erträglich zu machen, die mich ergreifen. Es ist die scheinheilige Einhelligkeit in der absurden Überzeugung. Es wäre die Pflicht (!) ernsthafter Journalisten gewesen, auf die Missverhältnisse hinzuweisen. Stattdessen berichtet selbst der Deutschlandfunk in seinen Nachrichten, dass die Prinzen William und Harry für zwölf Minuten am Sarg der Queen stehen werden. Die Frage des Nachrichtenwertes stellt sich gar nicht mehr. Die Lust der kollektiven Selbstverdummung ist ungebrochen. Das ist das Gegenteil von Aufklärung. Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist ein in seiner Dämlichkeit immer noch gefangener, der das heuchlerische Leben einer fernen, toten Luxusoma feiert und dabei seinen Nächsten vergisst.

Meine Oma wurde in Königsberg geboren, sie verlor ihren Mann und ihren Sohn im Krieg; sie wurde von Soldaten vergewaltigt, erkrankte an Malaria und Typhus, musste fliehen und war die letzten 25 Jahre ihres Lebens blind. Sie arbeitete bei der Reichsbahn, erzog ihre Tochter, pflegte ihre Mutter und passte auf ihre Enkel auf. Sie starb in keinem Schloss. Für ihre Pflege erhielt sie 800 Euro im Monat. Ihre Bestattung dauerte 40 Minuten und kostete 3000 Euro. Der Deutschlandfunk berichtete nicht.

Schnackseln bei den Royals – Von einer Nachricht, die keine war

William und Kate haben gepimpert! Irgendwann im November, wahrscheinlich nicht das erste und wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal. Kate war fruchtbar, Williams Spermien schlugen sich wacker durch ihre vaginalen Gefilde, ein Spermium fand eine Eizelle, die beiden verschmolzen, die Eizelle nistete sich in Kates fortan immer üppiger werdenden Leib ein und schwupps: Kate war geschwängert. Nach 9 Monaten also kam die Folge jenes ungeschützten Novemberaktes zur Welt. Kate gebar einen Sohn, der seit dem 22. Juli wahrscheinlich tatkräftig seine Windeln vollkackt. Die Verwandtschaft freut sich über jenes fürchterlich banales Familienglück und die ganze Welt ist scheinbar mit dabei. (mehr …)

Edward Snowdens Enthüllungen und das Ende einer Erzählung

Die Demütigungen, die sich mit der Personalie Edward Snowden verbinden, sind multipel. Snowdens Enthüllungen, deren Ende wohl aller Voraussicht nach noch nicht erreicht ist, bedeuten nichts weniger als das Ende einer großen, omnipräsenten okzidentalen Narration. Snowden markiert zwangsläufig eine, um das Wort des Altkanzlers Helmut Kohl zu gebrauchen, „geistig-moralische Wende“. Die westliche Vorzüglichkeit ist passé, der Begriff einer transatlantischen Freundschaft ist als hohle Phrase decodiert, der philosophische Firlefanz von Humanismus und Aufklärung offenbarte sich als bloßes Geschwätz und die Integrität des Rechtsstaates gerann zur bloßen Behauptung. (mehr …)