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Bemerkungen zu „ Die Weiße und die Schwarze“ und „Der violette Hut“ von Felix Valloton in Magie des Augenblicks

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Die Weiße und die Schwarze
Der violette Hut

Félix Vallotons Bilder waren zweifelsohne die interessantesten der Ausstellung „Magie des Augenblicks“ in der Hallenser Moritzburg.

Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen hier zwei Werke, die die übliche Wahrnehmung unterlaufen und den Titel der Ausstellung „Magie des Augenblicks“ ad absurdum führen. Denn es geht weder um den Begriff der Magie noch den Augenblick. Vielmehr wird dessen Unmöglichkeit problematisiert, seine Reflexionsbedürftigkeit und Determiniertheit.

Sowohl „Die Weiße und die Schwarze“ als auch „Der violette Hut“ (im folgenden mit WS und VH abgekürzt) etablieren einen offensichtlichen erotischen Diskurs. In WS liegt eine weiße Frauenfigur gänzlich nackt auf einem Bett, die Augen geringfügig geöffnet, von einer Schwarzen sitzenden Frauenfigur rauchend betrachtet. VH zeigt eine Frauenfigur mit violettem Hut, die sich gerade ihres Unterhemdes entledigt. Der vollständig entblößte oder sich entblößende Frauenkörper bildet bei beiden das bildliche Zentrum und unterstellt eine erotische Thematik, die der üblichen Wahrnehmungsgewohnheit entspricht. Der nackte, junge Frauenkörper degradiert die Figur zum Objekt oder beschränkt sie jedenfalls in diesen Aspekten. Es ist entscheidend festzuhalten, daß es sich bei dieser Degradierung nicht um eine des Bildes oder des Künstlers handelt, sondern allein um eine des Reziepienten. Die Leistung der Bilder besteht bei genauer Reflexion darin, aufzuzeigen, wie sehr die bürgerlichen Determinationen die Wahrnehmung bestimmen und es bleibt ein notwendig dümmlicher Akt der Ausstellung, dies überhaupt nicht zu thematisieren.

WS zeigt zwei Frauen, die sich anschauen. Die schwarze, rauchende Figur sitzt auf dem Bett und blickt der liegenden Figur in die Augen. Weder fokussiert sie ihre Scham noch ihre Brüste noch zeigt sie irgendein Begehren. Die geröteten Wangen der liegenden Figur sind ebenso durch Fieber und Überhitzung erklärbar wie durch sexuelle Motivation. Bei der sitzenden Figur allerdings deutetet nichts auf eine sexuelle Motivation hin, weswegen auch in Anbetracht des nicht europäisch wirkenden Raumes die erste Szenerie durchaus angenommen werden kann. Der Blick der Liegenden wäre dann eben kein Blick der Lust, sondern einer des Fiebers etc. Folgte man dieser Betrachtung, löste sich das erotische Topos vollständig auf. Die wahrgenommene Erotik ist also nicht im Bild angelegt, sie ist nur Teil des Begehrens- und Wahrnehmungsapparates des Rezipienten, nach der Formel: die Darstellung einer beschlafbaren, nackten Frau heißt sexuelle Thematik. Der Befund wird durch die schwarze Figur gestützt, da sie als sitzende Autorität auf einen gänzlich anderen Kulturraum hinweist.

Die Unüblichkeit der Nacktheit sowie die enorme Verregelung des Sexuellen im bürgerlichen Milieu fixieren den Rezipienten auf seinen Begehrenskontext. Der innerhalb der Zivilisation verlangte permanente Triebaufschub verengt den Blick mit gravierenden Folgen.

Weniger subtil aber ebenso wirksam wird dies in VH vorgeführt. Der durch Determination gelenkte Blick identifiziert die Geste der sich bald Entblößenden. Weder ihre offenkundige, mit großer Präzision gemalte Traurigkeit noch ihr violetter Hut spielen bei der Betrachtung zunächst eine Rolle. Der Fokus richtet sich auf die das Hemd festhaltende Hand, auf das alsbald freigelegte Dekolleté. Der Rezipient befindet sich in einer Art der Erwartung und engt seine Wahrnehmung entscheidend ein. Denn Thema des Bildes ist wiederum kein erotisches oder gar magisches. Das Bild offenbart die ungeheure Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Funktion und selbstbestimmter Sexualität. Der violette Hut, der wohl auch als Ausweis des Prostitutionellen der Figur gedeutet werden muß, konfligiert durch seine lächerliche Üppigkeit, seiner Horizontalität und seinem tiefvioletten Farbton mit dem in Weiß- und Pastelltönen gemalten Corpus der Figur.

Der Hut ist hierbei nicht nur Ausweis der Profession. Er dient der Kommunikation und der gesellschaftlichen Repräsentanz. Indem sich die Prostituierte als Prostituierte ausweist, ergibt sie sich gleichsam ihrer grundlegenden Funktionalisierung. Die Frau mit Hut wird zum bloßen Objekt, wird zum violetten Hut. Austauschbar, bezahlbar, …

Dieser Diskurs allerdings wird im Bild noch erweitert und fortgeführt. Der Unterleib der Figur ist durch eine präzise Linienführung vom Oberkörper getrennt. Ihr dunkler Rock korrespondiert und ergänzt die Farben des Hutes. Ihr Unterleib und ihr Hut bilden eine Einheit der gesellschaftlichen Funktion. Damit wird die Sexualität vollständig funktionalisiert und von der Person und vom Körper abgetrennt. Der Figurenkörper dient der zynischen Lustbarkeit des Freiers und innerhalb einer Ausstellung mit dem Titel „Magie des Augenblicks“ der zynischen Lustbarkeit des Rezipientens.

Die Magie des Augenblicks besteht also in schlichter Manipulation, der sich ein Museum permanent andient.

Die Funktion des Museums ist Verschattung, Verdunkelung Verdeckung. Insofern steht es im gravierenden Widerspruch zur ausgestellten Kunst, wenn sie tatsächlich Kunst ist, d.h. durch ein unerwartetes Evidenzgeschehen Einsichten imstande zu motivieren ist.

Mit dem Titel „ Magie des Augenblicks“ führt die Moritzburg Halle dies vor, indem sie eine Scheinkonsistenz der ausgestellten Bilder herstellt und die einzelnen Werke von einer intelligiblen Werkaussage freispricht. Die Werke sowie ihre Figuren degenerieren unter diesem Motto zu bloßen Objekten der schalen bürgerlichen Lustbarkeit.

Das Museum domestiziert die Kunst zu seinen Zwecken. Es ist notwendigerweise antiintellektuell. Es zeichnet die Kunst Vallotons aus, sich diesem zu entziehen und das Evidenzgeschehen zu bewahren.